Novellette von R. v. Rawitz.
in: „Agramer Zeitung” vom 19.01.1908
in: „Nieuwsblad van het Noorden” vom 25.10.1908
An der Tür einer Wohnung, die im Villenviertel belegen, ihre Fenster gegen prächtige, nun aber vom Herbstturm halb entblätterte Parkanlagen öffnete, klingelte ein Herr, dem man auf fünfhundert Schritt den Künstler ansah. Er trug einen langen Mantel mit Pellerine und auf dem grauen langen Haar einen Zylinder. In der Rechten hielt er einen Regenschirm, in der Linken ein Visitenkartentäschchen von braunem Maroquin, auf dem zwei Buchstaben unter einer Lyra verschlungen im matten Golddruck glänzten.
Es dauerte eine geraume Weile, bis jemand kam; diese Frist nützte der Herr, um das elegante Treppenhaus mit seinen Marmorsäulen und farbigen Glasfenstern einer kurzen Musterung zu unterziehen. Endlich wurde ein leichter Tritt hörbar, und in der geöffneten Tür erschien eine hübsche Blondine.
— Guten Tag, mein liebes Kind — ich möchte — — nicht wahr — hier wohnt doch Fräulein Berger — wie?
— Es gibt zwei Fräulein Berger — —
— So aha — ich meine natürlich die treffliche Diva der großen Oper, Fräulein Julie Berger — bitte, liebes Kind, wollen Sie meine Karte abgeben — sie ist doch zu dieser Vormittagsstunde zu Hause?
Das junge Mädchen trat einen Schritt in den Korridor zurück.
— Bitte näherzutretcn, mein Herr — — ich bin es selbst.
— Ach potztausend, dann bitte ich tausendmal um Entschuldigung; wie konnte ich aber ahnen, daß ich die himmlische Rosine von gestern — — — heute in der Küchenschürze treffe!
— Ja mein Herr, das war in der Tat nicht ohne weiteres anzunehmen. Mit wem habe ich die Ehre?
— Professor Vincenti, Chefredakteur der Münchener-Musik-Zeitung, der die Metropole nicht verlassen wollte, ohne Ihnen, Gnädigste, den Ausdruck seiner tiefsten Bewunderung zu Füßen gelegt zu haben.
Die Sängerin warf die Schürze auf einen Stuhl und führte ihren Gast dann ganz unbefangen in einen Salon, in dessen Mitte ein schöner Flügel stand und an dessen Wänden Dutzende von Kränzen symmetrisch gruppiert um die Bilder von Mozart, Wagner und Verdi hingen. Man nahm Platz, und dann begann eine Unterhaltung über Musik und Theater, die wohl eine halbe Strnide währte und mit der Einladung endigte, wenn die Künstlerin einmal München berühre, möge sie nicht am gastlichen Hause Vincenti vorübergehen.
— Aber was mich am meisten gefreut hat, verehrtes Fräulein — daß ich Sie in der Küchenschürze traf.
— In meinen Mußestunden koche ich für Mama und meine Schwester, — wer kann denn immer auf dem Kothurn wandeln?
— Sehr richtig — sehr richtig — und ich meinc, der Kunst schadet es auch nichts. Im Gegenteil: Nur wer recht Mensch ist, kann auch recht Künstler sein.
Er ging und Julie band wieder die blaue Schürze um, als es von neuem schellte.
— Jetzt öffne ich aber nicht mehr selbst, sagte sie — Emma, es hat geschellt — ich bin nicht zu Hause.
Das Mädchen öffnete, und ein junger Mann trat sans façon in die Tür.
— Nicht zu Hanse — Ausrede! Für mich gilt das nicht. Emmachen — machen Sie keine Umstände. Ich muß Fräulein Julie sprechen, melden Sie mich an. Oder haben Sie meinen Namen vergessen?
— Nein, nein, Herr Baron Dietenfeld.
— Na also — los! —
Zwei Minuten später stand er der Sängerin gegenüber.
— Sie Haben doch gehört, Baron, daß ich nicht zu sprechen bin, sagte Julie, indem sie auf einen Fauteuil wies. — Meine Zofe hat um Ihretwillen tüchtige Schelte bekommen.
Sie setzte sich auf den Drehstuhl vor den Flügel und klappte den Bechstein auf.
— Mit einem Mal bin ich also wieder „der Baron”, nachdem ich schon seit Wochen zum „Konrad” avanziert war!
— Nun ja, — aber es tut mir leid, — und wir wollen es wieder beim Alten lassen. Nicht wahr, Herr Baron?
— Nein, Julie, nsin! Um keinen Preis der Welt. Nicht um die Schätze Perus und des fabelhaften Dorado.
— Aber weshalb nicht, Verehrter? Sie haben 30 Jahre ohne mich gelebt, Sie werden auch weiterhin ohne mich existieren können. Was bin ich in ihrem Laben? Eine amüsante Episode. Es vergnügt Sie, nachdem Sie jahrelang Hofdamen und Offiziersfrauen den Hof gemacht haben, nun auf einmal einer vom Theater die Cour zu schneiden.
— Sie sind ungerecht, Julie, ungerecht und unfreundlich. Wenn Sie sich mit dem altersgrauen Regisseur gezankt haben, der Sie soeben verließ, weshalb, weshalb muß ich die trübe Laune auskosten?
— Erstens, mein Lieber, war es kein Regisseur, sondern ein Professor aus München, Zweitens Habe ich mich nicht mit ihm gezankt, sondern sehr angenehm unterhalten. Drittens bin ich nicht übler Laune, sondern in durchaus normaler Stimmung. Aber gerade weil ich normal gestimmt bin, deshalb urteile ich so klar und nüchtern, oder — wie Sie es meinen: „ungerecht und unfreundlich”. Und um es klar herauszusagen: Lieber Baron, wir können uns niemals nähertreten!
Er stand erschreckt auf und ging auf sie zu:
— Julie, ist das Ihr Ernst?
— Mein bitterer Ernst — ich kann nie die Ihre werden!
— Und weshalb nicht? Ich beschwöre Sie, liebe Julie, sprechen Sie ein Wort! Bin ich Ihnen gar nichts — gar nichts mehr? Habe ich nur geträumt, da ich Ihrem Herzen näher zu stehen glaubte, als tausend andere Sterbliche? Julie — ich flehe Sie an! Wahrheit!
Sie ließ die Rechte über die Tasten gleiten und schlug die ersten Akkorde der Gilda-Arie an: „Caro nome chc il mio cor —”
Ein Weilchen träumte sie vor sich hin, dann sah sie ihm fest ins Gesicht.
— Wahrheit — gut! Ja — Konrad — Sie sind mir teuer — ich -gestehe es —
— Nun also, Julie! Ich liebe Sie, Sie sind mir zugetan — was hindert uns, Hand in Hand durchs Leben zu gehen? Ich bin selbständig, stehe — bis auf Lucie — allein in der Welt, und mein Schwesterchen hängt schon jetzt an Ihnen, nur nach meinen Erzählungen.
Sie schüttelte den blonden Kopf: — Nein — ich will Ihnen offen sagen, was uns trennt. Hätten Sie mich als einfaches Mädchen im Hause kennen gelernt, ich würde heute die glücklichste Braut sein. Aber ich bin die Sängerin, und die ist es, die Sie lieben. Baron, nicht der armen Julie Berger gilt Ihre Neigung, sondern der neckischen Rosine, der unglücklichen Gilda, der verliebten Julia, der träumerischen Senta. Sie sehen mich gar nicht, wie ich bin, Baron, Sie sehen mich durch das Medium meiner Kunst. Wenn nun der Tag kommt — und er kommt in jeder Ehe — wo ich nur Mensch bin, mit Schwächen und Fehlern behaftet, nicht beleuchtet vom täuschenden Licht der Rampe — dann werden Sie Ihre Liebe in Nichts zerflattern fühlen. Dann werden Sie tief unglücklich sein, und ich auch. Und das — lieber Konrad — will ich uns beiden ersparen, — weil ich Sie liebe!
Er wollte Einwendung machen, aber sie schnitt ihm das Wort ab.
— Wir sprechen uns wohl noch öfter — heute nichts mehr. Ich muß studieren und darf die Stimme nicht angreifen. Seelische Erregung schadet so sehr dem Organ. Gehen Sie, lieber Freund — und kommen Sie übermorgen wieder. Morgen Abend singe ich die Micaela in „Carmen” Werden Sie in der Oper sein?
— Schwerlich — ich erwarte Besuch — —!
— Also viel Vcrgnügen und — auf Wiedersehen! — — —
Auf der geschlossenen Bühne wirbelten Sänger und Choristen, Zigeuner, Weiber und Kinder durcheinander. Die Szene: — eine Felsschlucht im Gebirge, — stand schon, der Chordirigcnt gab noch einige Anweisungen über Einsätze und Dynamik, ein Inspizient ließ rote und grüne Lichter spielen: der dritte Akt von „Carmen” sollte sogleich beginnen.
Julie Berger schritt langsam durch das Getümmel zum Vorhang.
— Im ersten Akt war er nicht da —, sagte sie zu sich selbst — das erste Mal seit vielen Monaten! Sonst Hat er keinen Abend ausgelassen, wenn ich singe. — Aber richtig — er sagte ja wohl etwas vom Besuch — nun, ich kann ja trotzdem einmal durch das Guckloch blicken!
Sie trat an die kleine Oeffnung der Gardine und sah in das ovale Halbrund des Zuschauerraumes, der in einem Meer von Licht schwamm.
— Sehr gut besucht heute! Nicht wahr? sagte der Kollege Escamillo, der durch das andere Löchlein sah — auch in der Hofloge sitzen einige Exzellenzen.
Julie blickte nur flüchtig dorthin und suchte die kleine Parkett-Loge, unten rechts, wo er sonst — — — —
— Ah! Caramba! Sie fuhr zurück.
— Was haben Sie, Kollegin? fragte der Baß. Was regt Sie so auf, daß Sie sogar ganz lokalecht spanisch werden?
— Gar nichts, Kollege — ich habe mir nur die Nase gestoßen.
Und wieder trat sie an den Vorhang: da saß er —, ganz im Hintergründe der Loge, wo ihn niemand aus dem ganzen Hause sehen konnte. Nur sie, von der Bühne her blickte in das Halbdunkel der Loge hinein. Und neben ihm saß eine elegante junge Dame, der er angelegentlich den Hof machte. Jetzt beugte er sich zu ihr hinüber, jetzt faßte sie ihn am Ohrläppchen, jetzt zieht er sie an sich und küßt — — —
— Klirr — ein Klingelzeichen. „Bühne frei” ruft der Regisseur — Julie muß vom Vorhang zurücktreten. Draußen beginnt das Vorspiel des dritten Aktes. Halbohnmächtig schwankt sie über die Bühne zu den Kulissen, denn ihre Szene kommt erst später. Wird sie singen können? Sie weiß es selbst nicht. Aber das weiß sie, — daß sie ihn nicht mehr lassen kann! Jetzt, in dieser Sekunde, da er an der Seite einer andern saß, ist es ihr aufgegangen! — — —
Allmählich, während draußen Frasquita und Mercedes Karten spielen und Carmen das Todeslos sich wirft, kehrt ihr die Fassung wieder, und als nun die Bühne leer wird und ihre Arie kommt, da hat sie die ganze Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Jetzt ist sie wieder die große Sängerin von Gottes Gnaden, und heute ist sie es doppelt. Nie hat eine Stimmung ihr so gelegen, wie diese, nie hat sie so singen dürfen, was sie wirklich empfindet, wie heute:
„Jenem Weibe nah' ich mit Bangen,
Das frech sein reines Herz getrübt,
In ihrem Netze hält sie gefangen
Den Mann, den ich so heiß geliebt —
Sie ist so schön, so gefährlich, —
Ach — sie zu sehen, welche Pein — —!”
Die Arie ist aus — durch das Haus braust minutenlanger Jubel, aber ihr schneidet der Beifall ins Herz. Was wissen die dort unten von ihrem wirklichen Leide?
Mit schmerzendem Haupt geht Julie zu Bett, erst in den Morgenstunden schließt Schlaf die verweinten Augen. Als sie aufwacht und in das Frühstückszimmer hinuntergeht, steht die Sonne schon hoch am Himmel.
— Wie spät, Emma?
— Halb elf, gnädiges Fräulein —
— Ich bin für niemand zu sprechen — für niemand —
— Der Herr Baron sitzt schon seit einer halben Stunde im Musiksalon, er hat — —
— Das ist zu arg!
Sie steht heftig auf und eilt in den Salon. Gestern eine andere küssen, und heute ihr von Liebe und Verehrung sprechen — —
Mit energischem Druck öffnet sie die Tür.
Da steht er ganz harmlos, und neben ihm — die Dame von gestern.
— Guten Morgen, liebe Julie — Sie haben mir erlaubt zu kommen — darf ich Ihnen mein Schwesterchen zuführen?
Baronesse Lucie geht glückstrahlend auf die Künstlerin zu, die plötzlich ganz bleich geworden ist. Aber als der Bruder ihre Rechte, die Schwester ihre Linke ergreifen, da überkommt sie ein stilles Gefühl unendlichen Glückes, eine tiefere Freude, als sie sie je unter Lorbeeren und Beifallsstürmen auf der Bühne empfunden.
— Julie — meine Julie!
— Lieber, lieber Konrad! — — —
Und so senkt sich der Vorhang über zwei Herzen, die sich endlich gefunden.
— — —
Aan de deur van een woning in de villawijk, welke uitzicht had op het prachtige, maar door den herfstwind half ontbladerde park, schelde een heer, van wien men reeds op vijfhonderd pas kon zien, dat hij een kunstenaar was. Hij droeg een langen mantel met pelerine en op het lange, grijze haar een hoogen hoed. In dé rechterhand hield hij een paraplu, in de linker een taschje voor visitekaartjes van bruin marokkijnléer, waarop twee letters onder een lier üi mat-gouddruk prijkten. Het duurde een heele poos, eer er iemand kwam, en van dezen wachttijd maakte de heer gebruik om het elegante trappenhuis met de marmeren zuilen en de gekleurde vensters aan een vluchtige beschouwing te onderwerpen. Eindelijk hoorde hij lichte voetstappen en in de deur verscheen een knappe blondine. — Goeden dag, lief kind, — ik zou — hier woont immers juffrouw Berger — niet waar? ~ Er zijn twee juffrouwen Berger — sh Zoo — aha — ik bedoel natuurlijk de .voortreffelijke diva der groote opera, juffrouw Julie Berger, -t- wees zoo goed, lief kind, haar mijn kaartje te geven — ze is des voormiddags immera thuis? H«t jonge meisje ging een stap achteruit. *- .Wees zoo goed binnen te komen, meneer fes ik ben het zelf. *— Te drommel, dan vraag ik duizendmaal extuus; maar hoe kon ik ook vermoeden, r*\ de Prachtige Rosine van gisteren — heden met een keukenschort voor me zou zien! - Ja, meneer, dat was werkelijk niet maar zoo te veronderstellen. Met wie heb ik de eer? »— — —